Lothar Baumgarten gehört zu
den international renommiertesten Künstlern. Entscheidend für sein Denken
ist die diskursive Einlassung mit einem Ort. Sie provoziert in der Auseinandersetzung
die Antwort, die Entscheidung über Maß und Proportion, über Material und Licht,
Inhalt, Form, wie Farbe. Es gibt keine Entwurfsschemata, keine Methode in
Strich und Umsetzung. Es gibt keine Wahrheit, aber es gibt gültige Maßgaben, die tragen. Für ihn hat Schönheit ihren Grund
in der Sinngebung und im Wissen, nicht aber in der Ästhetik. Baumgartens Werk
ist durch Ausstellungen in bedeutenden Museen so wie durch Preise gewürdigt
worden. Vier Mal (1972, 1982, 1992, 1997) nahm er an der Documenta teil, sowie
an der Carnegie International: 1988 „Cherokee Alphabet“ (Hall of Sculpture,
Carnegie Mellon) und 1991 „Grammar of Creation“ (Ducane University, Mies van
der Rohe). 1984 wurde er für seine
Arbeit „America“ (Señores Naturales, 1983/84) im Deutschen Pavillon mit dem „Goldenen
Löwen“ der Biennale von Venedig ausgezeichnet, 1993 zeigte das Solomon R. Guggenheim
Museum in New York in Frank Lloyd Wrights Rotunda eine Einzelausstellung. Im
Jahr 1996 erhielt er den Lichtwark-Preis der Hansestadt Hamburg; den mfi Preis
für Kunst und Bau erhielt er 2003.
Die Ausstellung „Imago Mundi“
des Museum Kurhaus Kleve ist Baumgartens
bis heute größte museale Einzelausstellung in Deutschland. Ihr Parcours eröffnet
einen gewissen Überblick durch viele Werkphasen von den späten 60er Jahren bis
in die Gegenwart. Die Einrichtung der Ausstellung führt einen Dialog mit der
von Walter Nikkels entworfenen Museumsarchitektur. Ihr Kanon macht häufig den
architektonischen Kontext des Gebäudes zum Träger der Arbeit selbst. Eine
zentrale Rolle in der Ausstellung nimmt die komplexe raumgreifende
Wandzeichnung (Installation) „Imago Mundi“ L’autre et L’ailleurs 1988 ein. Ihre
formale Gliederung bezieht sich auf die bekannte Farbmusterkarte von Kodak –
ein durch Kodak entwickeltes Hilfsmittel für die Anfertigung photographischer Abzüge
im allgemeinen und die Farbreproduktion im besonderen. „Imago Mundi“
konfrontiert die geographischen Namen der Kontinente Amerika, Asien, Afrika,
Australien und Antarktis mit den Namen jener europäischen Nationalstaaten, die
als Kolonialmächte ihre globalen Interessen in Übersee manifestierten. Die dieser
Arbeit eingeschriebene Dialektik
hinterfragt die vielschichtige nicht normative Interpretation von Farbe im
Kontext globalen Austauschs. Sie spiegelt als graphische Formel das Eigene und
das Andere. Cyan – Yellow – Magenta – Black mutieren hier zur ’Hautfarbe’. Die
Wandzeichnung wird zu einer Parabel der Globalisierung.
Zu den frühen Arbeiten gehört
der Film „Der Ursprung der Nacht“ (Amazonas-Kosmos) 1973 – 1977. Der Film
entwickelt, im Atelier beginnend, über die Morphologie von Vegetation und
Zivilisationsmüll eine Begegnung mit dem Regenwald Amazoniens am Rande einer
rheinischen Großstadt. Die fiktive Reise durch eine manipulierte Natur spiegelt
die eigene Erinnerung und Kultur wider.
Nichts ist mehr, was es zu sein scheint. Mimikry wird zum ständigen Begleiter.
Die Photographien der Serie „Montaigne“ 1977 – 1985 zeigen die Landschaft und
Urwälder der Gran Sabana, eines zum Eldorado der Goldwäscher gewordenen
Schlachtfelds in Venezuela und dem Norden Brasiliens. Von besonderer Bedeutung
für die Ausstellung in Kleve sind zwei neue sich doppelnde
Lichtbildprojektionen, die achtzig Gemälde brasilianischer Vögel aus dem 17.
Jahrhundert zum Gegenstand haben.
Die Bilder stammen von der Hand des niederländischen Malers Albert Eckhout und
basieren auf Studien, die während seiner Jahre in Brasilien unter Johann Moritz
von Nassau-Siegen entstanden. Johann Moritz, der von 1647 – 1679 brandenburgischer
Statthalter in Kleve war, wirkte zuvor in den Jahren 1637 – 1644 für die
niederländische Westindische Compagnie als Gouverneur in Recife. In diesen
Lichtbildprojektionen stellt Baumgarten Details des gemalten Federkleids der
Vögel Eckhouts Zeichnungen der Yanomami des oberen Orinoko gegenüber.
„Doppelpendel“ 2002/03 ist
eine Reflektion über den Kanon der Farbe bei Malern der Renaissance (Giotto di
Bondone, Benozzo Gozzoli, Domenico Ghirlandaio, Pinturicchio, Paolo Uccello,
Piero della Francesca, Luca Signorelli, Fra Angelico, Masaccio), die für einen
Kreuzgang in Montalcino / Italien realisiert wurde und in Kleve in den Arkaden
des Museums gezeigt wird. Ihr gegenüber ist die große, frei stehende Doppelwand
durch eine Wandzeichnung „Abgleich Präludium, Variation II“ 1995 als
bestimmendes architektonisches Element gewürdigt. „Abgleich“ ist ein Versuch
über das Benennen von Farben im
kommerziellen Austausch. „Verlorene Früchte“ 1969 sowie „Moskitos“ 1969, „Vom
Ursprung der Tischsitten“ 1971 und „Nachtflug“ 1969 sind frühe Arbeiten, in
denen das ephemere Element ihrer Materialisation von Bedeutung ist. „Archiv“
1967 – 1974 fasst in 300 Ektachromen die Entwicklung einer künstlerischen
Grammatik zusammen, auf deren Elemente immer wieder zurückgegriffen wurde. „Wie
Venedig sehen“ 1983/84 ist eine Lichtbildprojektion venezianischer Kamine. „Seven
Sounds – Seven Circles“ 2002 zeigt die Halbinsel Denning’s Point im Hudson
River bei Beacon, auf der zurzeit ein Projekt mit Tonaufnahmen realisiert wird.
Eine Doppelprojektion zeigt ein Galeriefenster von Konrad Fischer. Der Stein
für Georg Forster wurde für die Documenta 7, Kassel, realisiert und war Anstoß
und Versuch, die dortige Universität nach ihm zu benennen.
„Feldweg“ 2002 zeigt in einem Saal eine simultane Lichtbildprojektion aus fünf
Teilen. Es ist eine Reflektion über das Passagenwerk Walter Benjamins.
Die Werke Lothar Baumgartens
befinden sich in internationalen Sammlungen, u. a. im Museum of Modern Art, New
York; Metropolitan Museum, New York; Carnegie Museum, Pittsburgh; National
Museum of Modern Art, Kyoto; Castello di Rivoli, Turin; Fundacao Serralves,
Porto; Nationalgalerie (Hamburger Bahnhof), Berlin; Tate Modern, London;
Stedelijk Museum, Amsterdam; Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, De Pont,
Tilburg; Museum Kurhaus Kleve,
Kleve. Projekte im öffentlichen Raum: Bundespräsidialamt, Berlin; „Configuracions
urbanes“ Olympiade Cultural, Barcelona; Fondation Cartier, Paris.
Zur Ausstellung erscheinen
ein Katalog, zwei Bücher, eine Edition und ein Plakat. Für die Bücher und den
Katalog entwarf Walter Nikkels Form und Typographie.
Die Ausstellung im Museum Kurhaus Kleve wird gefördert durch
Kulturstiftung des Bundes
Kunststiftung NRW
Mit freundlicher
Unterstützung durch
Georgia Hotel Cleve